Immer wieder höre ich von meinen Patientinnen und Patienten in ihren letzten Lebenstagen, dass sie ihr Sterben ankündigen. Die Wenigsten tun dies direkt, Sätze wie „Ich sterbe jetzt bald“ höre ich nur selten und wenn, dann, wenn die Patienten noch relativ fit sind, ihre Situation klar einschätzen, aber noch einige Wochen oder Monate leben. In der letzten Lebensphase mit wechselnder Wachheit und Präsenz, dem zunehmenden Verlust des Gefühls für Zeit und Raum, verwenden die Menschen eher eine Symbolsprache oder nehmen Symbolhandlungen vor. Da werden Nachttische aufgeräumt, Gegenstände verschenkt, im Menschen entsteht eine Aufbruchstimmung, die sich auch in massiver Unruhe ausdrücken kann. Typische Sätze, die ich immer wieder höre, lauten:

„Ich muss los.“
„Fahr mich rüber.“
„Ich muss zum Bahnhof.“
„Wann geht denn das Flugzeug?“
„Ich muss meine Schuhe und meine Hose anziehen.“

Manche Menschen fühlen sich so getrieben, dass sie das Bett verlassen, obwohl ihnen die Kraft zum Stehen und Gehen fehlt, weshalb sie dann stürzen.

Aufbruchstimmung und Aufgeregtsein vor dem Verreisen kennt jeder gesunde, mitten im Leben stehende Mensch. Der Unterschied ist, dass wir, wenn wir in dieser Lebensphase eine Reise antreten, sie selbst geplant und das Ziel und auch die Transportmittel selbst ausgewählt haben. In der Regel haben wir auch ein Ticket für die Heimreise bzw. wissen, wann wir wieder unseren Alltagsgeschäften nachgehen wollen oder müssen. Der sterbende Mensch hat sich für seinen Weg aus dieser Welt in der Regel nicht freiwillig entschieden, er weiß nicht, wann es passiert, wie es passiert, was genau passiert. Er hat Angst vor Schmerzen oder fürchtet, zu ersticken. Auch wenn die Palliativmedizin solche Beschwerden gut lindern kann, bleibt die Angst vor dem Unbekannten bestehen. Wir wissen nicht, ob es nach dem Tod weitergeht und, wenn ja, wie.
Wenn ich als Sterbebegleiterin mich der Gefühlslage der mir anvertrauten sterbenden Menschen annähern will, muss ich mich selbst auf den Weg machen, unterWEGs sein. Auch der eigene Lebensweg gleicht einer Reise ins Unbekannte. Das Gehen, Wandern, das zu Fuß unterwegs sein, erlebt in unserer durch und durch motorisierten Gesellschaft eine Renaissance. Nicht, was wir schnell durchfahren, prägt sich uns ein, sondern was wir bewusst durchlaufen, was wir abGEHEN. Immer mehr Menschen finden Entspannung und können Kraft tanken für ihren stressigen Alltag, indem sie sich auf den Weg machen, Wandern gehen, die Natur dabei erleben oder sogar alte Pilgerwege wieder entdecken und gehen.
Auch mich haben diese alten Wege gerufen, ich habe mich ebenfalls auf den Weg gemacht. Was ich dabei erlebt habe und was das mit der Wegbegleitung für sterbende Menschen zu tun hat, darüber werde ich hier in loser Folge berichten.